Am Montag, 20. März 2023, jährt sich der „Tag X4“, zum 25. Mal. Am 20. März 1998 rollte zum ersten Mal ein Castor-Transport mit 106 hochradioaktiven Brennelementen aus laufenden Atomkraftwerken (Gundremmingen, Neckarwestheim) nach Ahaus. Begleitet wurde der Transport von großem Widerstand.
Infostand auf dem Oldenkottplatz
Anlässlich des Jahrestages wird die Ahauser Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ am Samstag, 18. März 2023, von 10 bis 13 Uhr mit einem Infostand mit Bildern und Plakaten am Oldenkottplatz an den Widerstand gegen den Transport erinnern. Der Transport nach Ahaus war der vierte seiner Art (daher „Tag X4“), die drei vorherigen waren alle ins Zwischenlager nach Gorleben gebracht worden. Dort hatte sich jedes Mal massiver Widerstand formiert, initiiert von der Aktionsgruppe „x-tausendmal quer“. Diese Gruppe rief nun gemeinsam mit der Ahauser BI für den Transport nach Ahaus zu gewaltfreiem Widerstand auf – mit überwältigendem Erfolg.
Protest konnte auf viele Schultern bauen
In den Wochen vor dem Transport wurden in der Region immer mehr gelbe „Xe“ sichtbar, hölzerne in Vorgärten und an Ackerrändern, aber auch als Plakate in den Fenstern der Häuser. Kirchliche Organisationen, der Landwirtschaftliche Kreisverband sowie zahlreiche Lehrer, Ärzte und Eltern stellten sich gegen den Transport. Die Landwirte demonstrierten mit 300 Traktoren am 15. März 1998 gegen den Transport. Auch die Politik in der Region machte gegen den Transport mobil. In vielen Gemeinderäten wurden Resolutionen verabschiedet, unter anderem in Münster, Stadtlohn, Vreden und Legden. Allein im Ahauser Rat scheiterte ein entsprechender Antrag an den Mehrheitsverhältnissen.
10.000 Demonstranten, 30.000 Polizisten
Am Tag des Transports demonstrierten unterwegs und in Ahaus über 10.000 Menschen. 30.000 Polizisten waren im Einsatz, um den Transport zu sichern. Der gewaltfreie Widerstand reicht von Anketten an Schienen, unter anderem in Holtwick, Legden und Ahaus, über die Blockade der Gleise bis hin zu Sitzblockaden auf Kreuzungen. Erst am Abend des 20. März 1998 erreichte der Transport sein Ziel, das Atommüll-Zwischenlager in Ammeln. "Wir hatten auf viele Demonstranten gehofft, aber rechnen konnten man mit diesen Zahlen nicht“, erinnert sich Hartmut Liebermann, schon damals eine der treibenden Kräfte bei der Ahauser BI, an eine „spannende Zeit“. Er selbst war am 20. März 1998 vom BI-Büro an der Bahnhofstraße aus immer wieder mit dem Fahrrad unterwegs und wurde von einigen spontanen Aktionen wie der Blockade der Gleise überrascht. Von den Protesten, an denen sich auch sehr viele Ahauser beteiligten, profitierte die BI auch in der Form, als dass die Zahl der Mitglieder deutlich zunahm. „Viele sind auch heute noch Mitglied, aber nicht mehr aktiv“, weiß Liebermann. Heute setzen die jungen Leute im Umweltbereich andere Schwerpunkte.
Verschiedene Gründe für den breiten Widerstand
Dass es in Ahaus so breiten Widerstand gab, hatte verschiedene Gründe. Insbesondere die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl 1986 hatte in Deutschland vielen Menschen die Risiken der Atomenergie vor Augen geführt. Das 1977 als Endlager vorgesehene Lager in Gorleben hatte von vornherein nicht die geologischen Bedingungen, um als Endlager in Betracht zu kommen. Dennoch diente es 40 Jahre als Alibi für eine gesicherte Entsorgung – bis 2017 ein neuer Prozess für eine Endlagersuche in Gang gesetzt wurde und Gorleben aufgegeben wurde. Außerdem war der Ahauser Bevölkerung von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen versprochen worden, dass im Zwischenlager erst dann Atommüll eingelagert werden würde, wenn die Inbetriebnahme des Endlagers Gorleben gesichert sei. Mit dem Castor-Transport 1998 erwies sich dies als dreiste Lüge.
Nach dem Protest in Ahaus wurden weitere Castor-Transporte gestoppt
Der Widerstand in Ahaus hatte auch positive Folgen in der Bundespolitik. Zunächst untersagte die damalige Umweltministerin Angela Merkel alle Castor-Transporte wegen bedenklichen Kontaminationen an den Behältern. Später, im Herbst 1998, beschloss die neu gewählte rot-grüne Bundesregierung, dass die verbrauchten Brennelemente an den AKW gelagert werden sollten. Seitdem gab es nur noch 2005 einen Transport nach Ahaus, als Brennelemente aus dem DDR-Forschungsreaktor in Dresden-Rossendorf eingelagert wurden.
Trotz positiver Änderungen will BI Widerstand aufrecht erhalten
Auch wenn sich viele Dinge für das Ahauser Zwischenlager zum Positiven verändert haben, will die BI ihren Widerstand weiterhin aufrecht erhalten. Und das aus gutem Grund: Der Atommüll in Ahaus, dessen Lagerung für 40 Jahre (bis 2036) genehmigt ist, droht nach neuesten Perspektiven der Endlagersuche noch wenigstens weitere 40 – 60 Jahre hier zu lagern, vermutlich bis ins nächste Jahrhundert.
Außerdem sollen weitere Brennelemente aus dem Forschungsreaktor Garching bei München und aus dem stillgelegten Versuchsreaktor Jülich nach Ahaus verbracht werden – Brennelemente, die so nicht endlagerfähig sind und für die erst noch entsprechende Konditionierungsverfahren entwickelt werden müssen. Dafür sind die Betreiber der Anlagen in Jülich und Garching zuständig. Es steht zu befürchten, dass sie sich dieser Verantwortung entziehen werden, wenn sie ihren Müll erst einmal in Ahaus abladen können.